Kurier.at | Susanne Mauthner-Weber
Philipp Blom ist kein Prophet, sondern Historiker. Trotzdem wagt er eine Vorhersage: Alles wird sich ändern, wenn wir uns nicht ändern.
"Dieses Buch ist ein wütendes Buch, ein verzweifeltes Buch." Philip Blom macht sich Sorgen. "Wir sind die erste Generation in der Geschichte, die die Folgen ihres Handelns bereits kennt. Wir haben auch die wissenschaftlichen Antworten, was wir tun könnten. Aber wir haben keinen Bock, es zu tun. Wir sind noch zu reich. Wir haben den Eindruck, dass unsere Welt alternativlos ist, dass die Wirtschaft alles diktiert. Das entschuldigt uns."
Philipp Blom ist als Historiker auch Kommentator der politischen Gegenwart. In seinem neuen Buch "Was auf dem Spiel steht" (ab morgen im Handel) schreibt er, dass die westlichen Gesellschaften vor einer prekären Wahl stehen: radikale Marktliberale einerseits, autoritäre Populisten andererseits. Beide gaukeln einfache Lösungen für die globalen Herausforderungen vor. Und verspielen so unsere Zukunft.
Blom ist überzeugt, dass "eine Gesellschaft, die keine Hoffnung in die Zukunft hat, nicht lange existieren kann. Und die Hoffnung in die Zukunft haben wir aus gutem Grund nicht – weil wir wissen, dass sich die Gesellschaften durch Migration ändern werden, der Klimawandel kommt, die Jobs wackeln in Folge der Digitalisierung. Wo immer wir hinschauen, ist die Zukunft bedroht."
KURIER: Herr Blom, wollen Sie uns Angst machen?
Philipp Blom: Man wäre blöd, sich keine Sorgen zu machen! Optimismus ist etwas Schönes, aber dummer Optimismus ist gefährlich! Nicht alles, was ich in "Was auf dem Spiel steht" beschreibe, muss so eintreten, aber es ist ein durchaus plausibles Szenario – es könnte so werden.
Was konkret macht Ihnen Sorgen?
Ich bin kein Prophet, sondern Historiker. Ich kann also nicht in die Zukunft schauen, aber ich kann mir als Historiker Strukturen anschauen, die Entwicklungen möglich machen. Und da sind zwei Entwicklungen schlüsselhaft: Das eine ist die Klimaerwärmung und mit ihr Sekundäreffekte wie die Migration. Das zweite ist die Digitalisierung, die immer mehr Jobs unnötig machen wird. Klimawandel und Digitalisierung werden unsere Gesellschaft sehr stark verändern. Und zwar nicht in fünfzig, sondern in zehn, zwanzig Jahren. Da sind jetzt Fehler am Horizont, die eine Spezies nur einmal machen kann. Wenn der Klimawandel aus dem Ruder läuft, ist es plausibel, dass es bald keine hoch entwickelten, urbanen Gesellschaften mehr gibt.
Wenn sich Anbaugebiete nach Norden verlagern, haben Millionen Menschen keine Einkünfte mehr. Sie werden nicht mit dem Klima mitwandern können, denn da ist schon jemand anderer. Sie werden in die großen Städte gehen. Diese Metropolen werden immer unregierbarer werden.
Es ist übrigens egal, ob der Klimawandel menschgemacht ist oder nicht. Diese Entwicklung passiert so oder so. Die einzige Entscheidung, die wir in der Hand haben: Wollen wir das erleiden oder gestalten. Es geht auch nicht darum, dass wir den Planeten zerstören. Das ist eine wahnsinnige Selbstüberschätzung. Wenn wir so weitermachen und der Klimawandel fünf Grad mehr bringt – das schlimmste Szenario –, heißt das: Alle Wetterphänomene, alle Ozeanströmungen kehren sich um. Wenn das passiert und die Menschen verschwinden, wird die Welt bald wieder wunderbar. Es ist also nur in unserem eigenen Interesse. Der Planet braucht uns nicht.
Wenn wir den Klimawandel überstehen, bleibt die Herausforderung Digitalisierung...
Immer mehr Menschen werden keine Arbeit mehr haben, während immer weniger Menschen die Produktionsmittel kontrollieren – die Fabriken haben, die Roboter haben, die Patente haben, die Algorithmen geschrieben haben. Kontrolle und politische Macht werden in immer weniger Händen liegen. Ein immer größerer Teil der Menschen wird für das ökonomische Leben überflüssig sein und nur noch als Konsument gebraucht werden. Diese Menschen haben auch keine Chancen mehr, gesellschaftliche Entwicklungen mitzubestimmen, indem sie das Recht zu streiken in Anspruch nehmen, weil sie keine Arbeit mehr haben – sie sind in der Gesellschaft nutzlos geworden.
Nun ist die Ironie dabei, dass das eine sehr positive Entwicklung sein könnte. Wir könnten nämlich sagen, dass wir die ersten Gesellschaften der Menschheitsgeschichte sind, die sich von der Notwendigkeit der Arbeit emanzipieren können. Der Wohlstand wird trotzdem geschaffen – von Computern, Robotern und Algorithmen. Der Reichtum könnte umverteilt werden.
Damit sind wir beim bedingungslosen Grundeinkommen...
Ich glaube nicht, dass es eine Alternative dazu geben wird.
Damit die Konsumgesellschaft nicht stirbt?
Wir in den westlichen Gesellschaften haben den Menschen seit einer Generation immer wieder eingebläut: Ihr seid keine Bürger, sondern Konsumenten. Das hat Konsequenzen. Die Identität der Menschen ist nicht mehr vom Staat oder der Kirche geprägt, sondern von ihren Konsumentscheidungen. Wir haben diese Konsum-Demokratien geschaffen, weil sie in der Nachkriegszeit sehr attraktiv schienen. Und mit dem gigantischen Wirtschaftswachstum, der Massenproduktion, standen auf einmal Güter zur Verfügung, die es davor für die meisten nicht gegeben hatte. Da war Konsum etwas Transformatives. Und etwas Friedenförderndes.
Ich bin weder gegen Kapitalismus noch gegen Märkte, aber mittlerweile sind wir eingeschlossen in einen Kapitalismus, der gezwungen ist, immer weiter zu wachsen, weil wir alle – auch die Staaten – Schulden haben, die wir nur bedienen können, wenn die Wirtschaft wächst. Es kann nicht so weitergehen. Und das begreifen viele Menschen instinktiv. Das System ist so weit erschüttert, dass das alte demokratische Versprechen: "Deinen Kindern wird es mal besser gehen als dir", nicht mehr stimmt.
Und das lässt Demokratien bröckeln?
Demokratie ist kein Naturzustand, sie ist etwas sehr, sehr Künstliches. Die menschliche Natur ist nicht demokratisch, sondern ziemlich autokratisch. Demokratie kann nur entstehen, wenn die meisten Menschen ihre eigenen Interessen mit dieser Gesellschaftsform identifizieren. Wenn sie denken: Das ist gut für mich, in der Demokratie kann ich arbeiten, erfahre Gerechtigkeit, Sicherheit. Wenn harte Arbeit weder Anerkennung noch Fortkommen zur Folge hat, schaut man sich nach Alternativen um. Und das passiert schon.
Während Sie am Buch arbeiteten, haben Sie sich immer wieder gefragt, ob das alles nicht weit hergeholt sei und Sie hysterisch wären. Sind Sie?
Ich gehe die Argumente immer wieder durch und komme zum Schluss: Nein. Panik ist ein schlechter Ratgeber. Jetzt, wo es uns noch relativ gut geht, haben wir begriffen, dass dieses System keine Zukunft mehr hat. Es wird einen Patchworkteppich an Lösungen brauchen – weniger Energie verbrauchen, weniger konsumieren, weniger fliegen und Urlaub machen. Das setzt voraus, dass wir jetzt ernsthafte und tief greifende Änderungen in unserer Wirtschaft und Gesellschaft beginnen vorzunehmen. Doch dafür sehe ich keine Anzeichen.
Es gibt Politiker, die die Vollbeschäftigung zurück bringen wollen. Es wird nie wieder Vollbeschäftigung geben. Die sind im falschen Jahrhundert. Wir dürfen uns aber nicht auf dumme, ineffiziente, ideologisch fixierte Politiker rausreden. Wir haben sie gewählt. Wir könnten eine neue Partei gründen und Dinge anders tun.
Und wir Alten müssten eigentlich sagen: Keiner über 30 sollte noch Macht haben. Geben wir sie in die Hände derer, die mit diesen Entscheidungen leben werden müssen. Beraten wir sie und helfen wir ihnen, wo wir können, aber machen wir ein Parlament der 20- bis 30-Jährigen. Denn wir können neue Gesellschaften bauen, die in einer Generation genauso normal wären, wie die jetzigen. Die nicht mehr nur auf Konsum ausgerichtet sind, wo Dinge kosten, was sie wirklich kosten, wo wir keine künstlichen Preise mehr haben, wie jetzt, weil Rohmaterialien durch Sklavenarbeit erwirtschaftet werden und Recyclingkosten nicht eingerechnet werden. Der Handlungsbedarf ist gigantisch.
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