Dagmar Roehrlich | Deutschlandfunk
Legte ein Klimawandel den Grundstein der modernen Gesellschaft?, fragt der Historiker und Philosoph Philipp Blom in seiner "Geschichte der "Kleinen Eiszeit von 1570 bis 1700." Und findet darin zwar monokausale, aber durchaus interessante Antworten.
Die Winter waren lang, die Sommer kurz und kühl: Vor allem im 17. Jahrhundert stürzte das Klima Europa in eine Krise. Was damals passierte, vermittelt eine erste Vorstellung davon, was der menschengemachte Klimawandel in unserer Zukunft auslösen kann. Für Philip Blom ein Grund, sich diese Zeit einmal näher anzusehen.
Schon die geradezu barock anmutende Titellänge versetzt den Leser zurück in die Zeit, die der Historiker und Philosoph Philipp Bloom analysiert: "Die Welt aus den Angeln - Eine Geschichte der Kleinen Eiszeit von 1570 bis 1700 sowie der Entstehung der modernen Welt, verbunden mit einigen Überlegungen zum Klima der Gegenwart". Und das Titelbild tut ein übriges: Eine Winterlandschaft von Hendrick Avercamp, die während der Kleinen Eiszeit entstand. Philipp Blom konzentriert sich auf die Zeitspanne von 1570 und 1700. Es war die kälteste Phase der "Kleinen Eiszeit", die insgesamt 400 Jahre dauerte. Die Durchschnittstemperatur in Europa stürzte um zwei Grad ab, und das Wetter spielte verrückt: Manchmal regnete es wochenlang, mal herrschte Dürre, der Frühling schien ewig auf sich warten zu lassen, und die Sommer waren kraftlos und kurz. Einzig auf den Winter war Verlass: In London konnten Frostjahrmärkte auf der gefrorenen Themse stattfinden, und in Paris wachte König Heinrich IV. mit vereistem Bart auf.
Für die Menschen waren es harte Jahrzehnte: Der 30-jährige Krieg tobte, die Pest wütete, es gab Missernten und Hungersnöte. Es war eine Zeit, in der Weltuntergangsphantasien bizarre Blüten trieben und die Welt aus dem Lot geraten zu sein schien. Hilflos und voller Angst erlebten die Menschen Veränderungen, für die sie keine Erklärung hatten.
Zu Beginn wurden die Naturereignisse als Ausdruck göttlichen Zorns wahrgenommen. Und die Lösung, erklärt der Autor, sie lag in Buße, Reue, Umkehr - und Hexenverbrennungen. Doch mit der Zeit nutzte sich der Gotteszorn als Erklärung ab. Im Lauf des 17. Jahrhunderts begannen die Menschen, die Ursachen für ihr Unglück in der Natur zu suchen. In diese Zeit fällt der Ursprung der modernen Wissenschaften. Mit Experimenten versuchten die Gelehrten, neue Wege zu beschreiten, Wissen zu erlangen, neue Techniken zu entwickeln, neue Geräte, bessere Anbaumethoden. Diese "eherne" Zeit, so analysiert Blom, veränderte sich die europäische Gesellschaft grundlegend. Nichts blieb, wie es war: weder die Wirtschaft, noch die politische Ordnung, die Kultur oder die Philosophie.
Legte ein Klimawandel den Grundstein der modernen Gesellschaft? Damals, so argumentiert der Autor, legte der Klimawandel die Basis für den Aufschwung des globalen Handels, für die Anfänge des modernen Staats, den Kolonialismus, die Strategie des Wachstums durch Ausbeutung. Eine vielleicht zu monokausale, aber durchaus interessante Sicht. Die Moderne als Produkt der Kleinen Eiszeit? Darüber lässt sich streiten. Und dann fragt sich Blom, ob sich nicht gerade ein Kreis schließt. Die durch den Kälteschock entwickelten Konzepte, glaubt er, stoßen an ihre Grenzen, verursachen die nächste Krise, den menschengemachten Klimawandel. Auch der werde die Gesellschaften verändern. Ob katastrophal oder zum Besseren, das zu steuern, dazu bleibe nur noch wenig Zeit.
» gesamten Artikel lesen:
http://www.deutschlandfunk.de/philipp-blom-die-welt-aus-den-angeln-die-geburt-der-moderne.740.de.html?dram:article_id=382293