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Der neue Blom

In seinem neuen Buch "Die Welt aus den Angeln" kehrt der Schriftsteller und Historiker ins Europa der kleinen Eiszeit zurück und zeigt, wie ein eklatanter Klimawandel das gesellschaftliche Klima verändern kann.

Eiszeit und Alkohol

Von der Kleinen Eiszeit sprechen Historiker heute, wenn es um die Jahre von 1570 bis 1700 geht. Die Themse fror in London damals so dick zu, dass ganze Jahrmärkte auf dem Eis abgehalten wurden und selbst in den Herrscherpalästen kam man mit dem Heizen nicht mehr nach, so dass der französische König eines Morgens mit vereistem Bart aufwachte. Zähe Feldfrüchte wie Kartoffeln oder Mais traten ihren Siegeszug an und auch in Sachen Alkohol kam es zu einer Revolution. Philipp Blom: "Vor der kleinen Eiszeit wurde Wein bis ins südliche Norwegen angebaut. Viele Regionen mussten den Weinanbau völlig aufgeben, weil man den Alkohol aber als Grundnahrungsmittel brauchte – Wasser war in den meisten Fällen zu verschmutzt und deshalb ungenießbar oder krankheitserregend -, ist Bier in Europa ein wichtigeres Getränk geworden."

Aufklärung versus Aberglauben

Die massive Kälte und das Auftauchen von Kometenerscheinungen wurden als göttliche Zeichen gesehen, es folgte eine Zeit verstärkter Religiosität, Hexenverfolgungen nahmen zu und Heilsverkünder und Magiere schafften es als Berater bis an die Herrscherhöfe. Doch als Gegenreaktion entwickelten sich auch aufklärerische Gedanken. Die Philosophen wollten nicht mehr Gott, sondern der Natur auf die Spur kommen, führten Debatten, in denen nicht mehr der Glauben, sondern Wissenschaft und Logik den Ton angaben und forderten Menschenrechte ein. Und sie fanden Möglichkeiten, ihre revolutionären Ideen auch effizient zu verbreiten, und zwar, so Philipp Blom, "Flugblätter und Pamphlete, denn die konnte man heimlich drucken und mit den Methoden der populären Kommunikation verbreiten, sei es mit Bildern und Versen gekoppelt, als Pornographie verkleidet oder sensationalistisch aufgemacht."

Das Kippen der Macht

Der Klimawandel sorgte auch für eine Umkehrung der politischen Verhältnisse. Der Süden verlor seine Vormachtstellung, Spanien segelte im wahrsten Sinn des Wortes, innerhalb von nicht einmal hundert Jahren vier Mal in den Staatsbankrott, dafür wurde eine bislang unbedeutende Kleinstadt an der Nordsee zum neuen Finanz- und Handelszentrum. Der neue Reichtum, aber auch die tolerante Atmosphäre Amsterdams sorgten überdies dafür, dass sich Künstler und Denker hier ansiedelten.

Vorbildliches Amsterdam

Während große Teile Europas im 30jährigen Krieg versanken, wurde Amsterdam zum Auffangbecken für Flüchtlinge und wusste mit dieser spannenden Situation auch äußerst kreativ und effizient umzugehen. Ein Lehrbeispiel für die Gegenwart, so Philipp Blom: "Ich glaube, dass wir in Gesellschaften leben, die sehr stark darauf fußen, dass sie keine Veränderung wollen. Das Problem ist: Das ist keine Wahl, die sich uns stellt. Der Klimawandel findet statt und wird, deshalb habe ich dieses Buch geschrieben, viel mehr in unseren Gesellschaften verändern als dass es nur ein bisschen wärmer wird. Und ich glaube, es wäre besser, wenn wir uns da etwas von den Niederländern abschauen würden und diese enormen Veränderungen tatsächlich ergreifen würden und versuchen, sie zu gestalten, anstatt sie später nur zu erleiden."

Offenheit als Trumpf
Wie immer bei Philipp Blom muss man auch bei „Die Welt aus den Angeln“ kein hartgesottener Historiker sein, um das Buch mit Genuss zu lesen. Dieses Mal kommt aber noch etwas hinzu. Anhand ganz konkreter Beispiele zeigt Blom nämlich, dass Krisenzeiten spannend sind und ungeheure Möglichkeiten bieten, mit der Voraussetzung halt, dass man sich nicht verschließt, sondern öffnet.

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http://oe1.orf.at/artikel/461956

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