Die Welt aus den Angeln
Philipp Blom, einer der wichtigsten Historiker unserer Zeit, über die Entstehung der modernen Welt – ein großartiges historisches Panorama Lange kalte Winter und kurze kühle Sommer: Im 17. Jahrhundert veränderte sich das Klima in Europa dramatisch. Das Getreide wurde knapp, Wirtschaft und Gesellschaft torkelten in eine tiefe Krise. Die Kleine Eiszeit vermittelt uns eine Vorstellung von den schweren Verwerfungen, die ein Klimawandel auslöst. Die Menschen versuchten sich mit Hilfe von Aufklärung, Wissenschaft und Technik aus der Abhängigkeit von der Natur zu befreien. Aber heute stößt diese moderne Welt an ihre Grenzen, weil sie eine erneute Klimakatastrophe heraufbeschwört. Philipp Blom entfaltet ein großartiges historisches Panorama, in dem wir die Herausforderungen der Gegenwart erkennen.
Erscheinungsdatum: 20.02.2017
304 Seiten
Hanser Verlag
Fester Einband ISBN 978-3-446-25458-9
€ 24,00 (D)
Sonderweg der westlichen Moderne
Uwe Salzbrenner | Sächsische Zeitung, 30.06.2017
Der Historiker Philipp Blom demonstriert: Das Klima kann Denken und Wirtschaft von Gesellschaften verändern.
Blom zeigt die frühmoderne Welt in einer Folge von kleinen Geschichten. Als Klimazeugen dienen ihm Auszüge aus Tagebüchern, Chroniken, Landtagsarchiven, literarischen Werken. Um die Revolution des Denkens vorzuführen, wählt er Einblicke in Biografien von Männern, die wir heute wohl Intellektuelle nennen würden: das Leben und Wirken des ehemaligen Offiziers und späteren Logikers René Descartes, des Philosophieprofessors Pierre Bayle, des jüdischen Linsenschleifers und Ethikers Baruch Spinoza. Blom hat zudem ein Gespür für Anekdoten.
Die Geburt der Moderne aus dem Schoß des Klimawandels?
Von Dagmar Roehrlich | deutschlandfunk.de 26.03.2017
Legte ein Klimawandel den Grundstein der modernen Gesellschaft?, fragt der Historiker und Philosoph Philipp Blom in seiner „Geschichte der „Kleinen Eiszeit von 1570 bis 1700.“ Und findet darin zwar monokausale, aber durchaus interessante Antworten.
Die Winter waren lang, die Sommer kurz und kühl: Vor allem im 17. Jahrhundert stürzte das Klima Europa in eine Krise. Was damals passierte, vermittelt eine erste Vorstellung davon, was der menschengemachte Klimawandel in unserer Zukunft auslösen kann. Für Philip Blom ein Grund, sich diese Zeit einmal näher anzusehen. Schon die geradezu barock anmutende Titellänge versetzt den Leser zurück in die Zeit, die der Historiker und Philosoph Philipp Bloom analysiert: „Die Welt aus den Angeln – Eine Geschichte der Kleinen Eiszeit von 1570 bis 1700 sowie der Entstehung der modernen Welt, verbunden mit einigen Überlegungen zum Klima der Gegenwart“. Und das Titelbild tut ein übriges: Eine Winterlandschaft von Hendrick Avercamp, die während der Kleinen Eiszeit entstand. Philipp Blom konzentriert sich auf die Zeitspanne von 1570 und 1700. Es war die kälteste Phase der „Kleinen Eiszeit“, die insgesamt 400 Jahre dauerte. Die Durchschnittstemperatur in Europa stürzte um zwei Grad ab, und das Wetter spielte verrückt: Manchmal regnete es wochenlang, mal herrschte Dürre, der Frühling schien ewig auf sich warten zu lassen, und die Sommer waren kraftlos und kurz. Einzig auf den Winter war Verlass: In London konnten Frostjahrmärkte auf der gefrorenen Themse stattfinden, und in Paris wachte König Heinrich IV. mit vereistem Bart auf. Für die Menschen waren es harte Jahrzehnte: Der 30-jährige Krieg tobte, die Pest wütete, es gab Missernten und Hungersnöte. Es war eine Zeit, in der Weltuntergangsphantasien bizarre Blüten trieben und die Welt aus dem Lot geraten zu sein schien. Hilflos und voller Angst erlebten die Menschen Veränderungen, für die sie keine Erklärung hatten. Zu Beginn wurden die Naturereignisse als Ausdruck göttlichen Zorns wahrgenommen. Und die Lösung, erklärt der Autor, sie lag in Buße, Reue, Umkehr – und Hexenverbrennungen. Doch mit der Zeit nutzte sich der Gotteszorn als Erklärung ab. Im Lauf des 17. Jahrhunderts begannen die Menschen, die Ursachen für ihr Unglück in der Natur zu suchen. In diese Zeit fällt der Ursprung der modernen Wissenschaften. Mit Experimenten versuchten die Gelehrten, neue Wege zu beschreiten, Wissen zu erlangen, neue Techniken zu entwickeln, neue Geräte, bessere Anbaumethoden. Diese „eherne“ Zeit, so analysiert Blom, veränderte sich die europäische Gesellschaft grundlegend. Nichts blieb, wie es war: weder die Wirtschaft, noch die politische Ordnung, die Kultur oder die Philosophie. Schließt sich da gerade ein Kreis? Legte ein Klimawandel den Grundstein der modernen Gesellschaft? Damals, so argumentiert der Autor, legte der Klimawandel die Basis für den Aufschwung des globalen Handels, für die Anfänge des modernen Staats, den Kolonialismus, die Strategie des Wachstums durch Ausbeutung. Eine vielleicht zu monokausale, aber durchaus interessante Sicht. Die Moderne als Produkt der Kleinen Eiszeit? Darüber lässt sich streiten. Und dann fragt sich Blom, ob sich nicht gerade ein Kreis schließt. Die durch den Kälteschock entwickelten Konzepte, glaubt er, stoßen an ihre Grenzen, verursachen die nächste Krise, den menschengemachten Klimawandel. Auch der werde die Gesellschaften verändern. Ob katastrophal oder zum Besseren, das zu steuern, dazu bleibe nur noch wenig Zeit.
Kühler Aufbruch
Hans-Martin Schönherr-Mann / Spektrum.de 23.03.2017
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts kühlte das globale Klima merklich ab und blieb bis weit ins 18. hinein um 2 bis 4 Grad Celsius unter der vorherigen Durchschnittstemperatur. Die Winter wurden weltweit – obgleich regional unterschiedlich – länger und kälter, die Sommer kühler und regenreicher. In manchen Wintern waren Amsterdams Grachten lange zugefroren, wurden in London auf der Themse Märkte errichtet. Nicht nur unter der ungewöhnlichen Kälte litten Menschen und Tiere. Vor allem führten die kühlen Sommer zu schlechten Ernten, was Preise steigen ließ und Hungersnöte auslöste, die wiederum Epidemien zur Folge hatten. Die Ursachen für diesen Klimawandel sind bis heute nicht ganz klar.
Der Wiener Schriftsteller und Historiker Philipp Blom vermeidet es, die gewaltigen gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Veränderungen, die in diesen Jahrhunderten in Europa stattfanden, monokausal mit dem Klimawandel zu erklären. Aber er zieht vorsichtig Parallelen, beschreibt den Abschied aus einer zutiefst religiös geprägten Welt und den Aufbruch in ein zunehmend aufgeklärtes, naturwissenschaftlich geprägtes Denken. Auch wenn es zunächst nicht auf der Hand liegt: Das Klima spielte dabei indirekt eine Rolle. Denn die weit verbreitete Antwort, die Religionsvertreter auf die Unbill der Witterung gaben, waren Gebete, Aufforderungen zur Buße und das Suchen nach Schuldigen, die man verantwortlich machen konnte für das Wetter als göttliche Strafe. Die Hexenverbrennungen erreichten nicht zufällig just in dieser Zeit ihren grausigen Höhepunkt. Und im Fahrwasser der Reformation stürzte Europa im 17. Jahrhundert in nicht enden wollende, blutige Bürgerkriege.
Aufs Diesseits gerichtet
Eben jene Reformation bereitete aber auch den Weg für ein weniger religiös verhaftetes Denken, das eine auf Erfahrung rekurrierende Naturbetrachtung begünstigte und sich statt auf die Bibel auf Empirie, Mathematik und Logik stütze. Die modernen Naturwissenschaften wurden geboren. Einerseits entstand hierdurch eine säkulare Philosophie, die sich von religiöser Bevormundung langsam befreite. Als Beispiel geht Blom ausführlich auf den Philosophen Baruch de Spinoza (1632-1677) ein, der Gott mit der Natur gleichsetzte und letztere streng logisch analysierte. Das erlaubte ihm, den Menschen so betrachten, „wie er ist“, also ohne religiöse Jenseitsorientierung. Was ihm den Vorwurf des Atheismus und massive Verfolgung einbrachte.
Andererseits waren die frühneuzeitlichen Naturwissenschaften sehr an praktischer Nutzanwendung orientiert – ob in Landwirtschaft, Handwerk, Ökonomie oder Medizin. Und erlaubten es den Zeitgenossen schon bald, auf die Kältewellen mit einem massiven wissensbasierten Wandel der Lebens- und Arbeitsweisen zu antworten. Anstelle des Kleinbauerntums entstanden Gutshöfe, die mit verbesserten Techniken und neuen Nutzpflanzen wie der Kartoffel für einen großen Markt produzierten. Amsterdam wurde zur Drehscheibe des Handels mit nordosteuropäischem Getreide, das schlechte Ernten ausgleichen half. Der heraufdämmernde Kapitalismus und der intensiver werdende Kolonialismus erlaubten es Britannien, zur ökonomisch führenden Weltmacht aufzusteigen. Bekanntlich war dieser Wandel mit Krieg, Unterdrückung und Ausbeutung verbunden.
Ausgehend von diesen historischen Tatsachen zieht Blom Parallelen zum gegenwärtigen Klima- und Gesellschaftswandel. Seine Schlussfolgerungen fallen eher pessimistisch aus. Er sieht die liberale und auf Menschenrechten beruhende Demokratie durch autoritäre Tendenzen massiv gefährdet. Denn angesichts der Klimaveränderungen drohten massive Verteilungskämpfe, sowohl zwischen Bevölkerungsgruppen als auch zwischen Staaten, die ihrerseits durch Migration destabilisiert werden könnten.
Das Buch ist durchaus lesenswert. Allerdings behandelt der Autor die verschiedenen Themen häufig ohne Querbezüge untereinander, so dass die Lektüre nur selten einen übergreifenden Blick auf das Ganze vermittelt.
Vor 330 Jahren war ganz Europa ein eisiges Reich Von Christoph Arens | welt.de
Lange Winter und kurze, kühle Sommer: Im 17. Jahrhundert änderte sich das Klima in Europa dramatisch. Hungersnöte waren die Folge. Der Historiker Philipp Blom hat erforscht, wie der Kontinent die „Kleine Eiszeit“ überlebte. Was passiert in einer Gesellschaft, wenn sich das Klima ändert? Wer stirbt, wer überlebt? Was bricht zusammen, und was wächst?
„Es wirkt wie ein sadistisches Experiment“, erdacht von einem „böswilligen Dämon oder einem außerirdischen Wissenschaftler, ein Tierversuch mit ganzen Gesellschaften“, schreibt der Historiker Philipp Blom in seinem neuen Buch „Die Welt aus den Angeln.“ Das Experiment ist mit Blick auf den gegenwärtigen Klimawandel hochaktuell. Doch der in Wien lebende Blom schaut zurück und hat eine Geschichte der Kleinen Eiszeit von 1570 bis 1700 geschrieben. Ein Lehrstück, das Gewinne und Verluste offenbart. Eine Fallstudie, die die Geburt der modernen Welt mit dem Klimawandel verbindet. „Etwas Bedrohliches war im Gange“, konstatiert Blom mit Blick auf die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Lange Winter, kurze, kühle Sommer: „Die Themse war bis nach London hinein so dick zugefroren, dass Marktstände auf dem Eis errichtet werden konnten.“ Tiefer Schnee bedeckte auch Teile Italiens und Spaniens. „Europa war ein eisiges Reich.“ Und die Maler von Brueghel bis Averkamp entdeckten das Genre der Winterlandschaften. Zwischen 1570 und 1685 gab es einen Rückgang der Durchschnittstemperatur um zwei bis drei Grad. Wochenlanger Regen und Dürre brachten Hungersnöte, steigende Brotpreise führten zu Aufständen. Erst 80 Jahre später erreichten die Ernten in Europa wieder die Mengen von 1570. „Es ist unglaublich, wie sehr sich die europäischen Gesellschaften zwischen 1600 und 1700 innerhalb von drei Generationen verändert haben“, bilanziert Blom. „Eigentlich ist es ein Naturgesetz: Wenn sich unsere Umweltbedingungen ändern, müssen auch wir uns ändern. Und jetzt sind wir wieder in einer Zeit, die auf einen großen Klimawandel zugeht.“ Die Antwort der Menschen damals wandelte sich: Zunächst interpretierten sie die bedrohlichen Wetterkapriolen als Strafe Gottes. „Wenn es eine schlechte Ernte gab, bedeutete das: Wir müssen Bußprozessionen machen.“ Nicht von ungefähr ist diese Zeit die Hochphase der Hexenverbrennungen. Doch die religiöse Erklärung verlor immer mehr an Plausibilität. Die Menschen begannen, die Lösungen in der Natur zu suchen. Botaniker probierten neue Anbaumethoden aus, experimentierten mit Kartoffeln und Tomaten. Ihre Erkenntnisse wurden europaweit publiziert. Die seit Jahrhunderten unveränderte Landwirtschaft wurde effizienter. „Das war ein Modernisierungsschub durch Wissen“, stellt Blom fest. Im Mittelalter waren es allein die Mönche, die miteinander diskutierten und lesen konnten. Jetzt, im Zeitalter der Aufklärung, entstand in den Städten ein öffentlicher Raum für Debatten und Wissenschaft. Das Bürgertum stieg auf. Und eine neue Wirtschaftstheorie setzte sich durch. Europa erfand laut Blom ein neues Rezept, um mächtig zu werden: Kapitalismus und Wirtschaftswachstum – das allerdings auch auf Ausbeutung beruhte. Denn Spanier, Portugiesen, Niederländer und Briten eroberten die Welt, gründeten Kolonien, raubten Gold und Sklaven. Zugleich entwickelten sich die Ideen der Toleranz und der Menschenrechte. Kaufleute wurden die Agenten der Globalisierung. Amsterdam, im 16. Jahrhundert eine kleine, unbedeutende Stadt, importierte Getreide aus dem Baltikum und verkaufte es in Europa – eine Ursache für das anbrechende Goldene Zeitalter der Niederlande. Immer mehr Wachstum, immer mehr Ausbeutung: Für Blom stößt dieses Rezept heute an seine Grenzen. Genau jene Strategien, die sich während der Kleinen Eiszeit entwickelt haben, seien Ursache für den nächsten, den heutigen Klimawandel. „Mit Wirtschaftswachstum wird man die Krise nicht mehr bewältigen können“, meint der Autor. „Die Flüchtlinge sind ein Symptom dieser Veränderung. Ich glaube nicht, dass wir schon genug darüber nachdenken.“
Auf den Spuren der Klimaveränderung
Paula Pfoser / ORF.at 20.02.2017
In „Die Welt aus den Angeln“ begibt sich der deutsche Schriftsteller und Historiker Philipp Blom auf die Spuren einer historischen Klimaveränderung: „Eine Geschichte der Kleinen Eiszeit von 1570 bis 1700 sowie der Entstehung der modernen Welt, verbunden mit einigen Überlegungen zum Klima der Gegenwart“ lautet der ausführliche Untertitel. Dahinter verbirgt sich nicht nur Klimageschichte, sondern das Panorama einer ganzen Epoche.
Männer mit Straußenfedern auf dem Hut, Frauen mit Spitzenhauben, Herrschaften beim Betteln oder mit dem Eishockeyschläger in der Hand, auf Schlittschuhen oder Pferdewagen – Hendrick Avercamps Gemälde „Winterlandschaft“ von etwa 1608 zeigt das wimmelnde Leben, versammelt auf den zugefrorenen Grachten Amsterdams.
Ein Gemälde als Allegorie: Die Kleine Eiszeit, die in der Zeitspanne von etwa 1550 bis 1850 Europa heimsuchte, traf alle Menschen, egal ob reich oder arm, jung oder alt. Avercamp war übrigens nicht der Einzige, der sie in Bildern verewigte – die Museen sind heute voll mit Winterlandschaften und Eislaufsujets aus der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, als berühmtestes Bild gilt Pieter Bruegels „Die Jäger im Schnee“.
Verregnete Sommer, extreme Dürren
Idyllisch, wie die Niederländer das gesellschaftliche Treiben darstellten, war es jedoch selten. Wie Blom in seinem Buch zeigt, brachte die Abkühlung um durchschnittlich zwei Grad nicht nur mehr Kälte, sondern wirbelte auch die Strömungen der Ozeane und die klimatischen Kreisläufe durcheinander, was dazu führte, dass Europa von extremen Klimaereignissen heimgesucht wurde.
1569 war die Lagune von Venedig bis in den März hinein zugefroren. In Amsterdam kam es 1574 durch einen Sturm zum Dammbruch und damit zu einem abrupten Anstieg des Wasserspiegels, sodass man, wie ein Zeitzeuge berichtete, „von einem Haus zum anderen mit dem Boot fahren konnte“. In England wiederum führte die Dürre 1666 zum „Great Fire of London“. Durch einen kleinen Brand, der sich rasch über das trockene Gebälk der Fachwerkshäuser ausdehnte, gingen letztlich 13.000 Gebäude in Flammen auf.
Am umfassendsten und einschneidendsten waren jedoch die Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft: Kurze und verregnete Sommer führten periodisch zu katastrophalen Missernten in der Getreide- und Weinproduktion, vor allem in den Gesellschaften der Alpenregionen und der nördlichen Teile Europas. In Russland starben zwischen 1601 und 1603 ca. drei Millionen Menschen an Hunger und Seuchen, ausgelöst durch Ernteengpässe.
Rätselhafte Ursachen
Was dazu führte, dass die Natur derart aus den Fugen geriet, ist bis heute rätselhaft geblieben: Man glaubt, dass Abweichungen in der Erdachsenrotation und eine verminderte Sonnenaktivität eine Rolle spielten. Wirklich nachweisen kann man beides aber erst für das späte 17. Jahrhundert. Und die steigende Anzahl an Vulkanausbrüchen, die durch den aufgewirbelten Staub zu einer geringeren Sonneneinstrahlung beitrugen, erklärt nur besonders extreme, kurzfristigere Temperatureinbrüche.
Mit Sicherheit weiß man jedoch, dass die extremen Klimaereignisse nicht nur Leid, Hunger und Tod mit sich brachten, sondern auch die Menschheit für immer veränderten: „Die Welt aus den Angeln“ galt auch für die soziale Ordnung und das Wirtschaftssystem. Die Missernten kurbelten den Handel stark an und führten etwa zur Abschaffung der gemeinschaftlich geführten Allmenden und Umstellung auf weniger riskante Viehwirtschaft.
Diese Neuordnung der Landwirtschaft wiederum befeuerte – ebenso wie die Hungersnöte – Aufstände und soziale Unruhen, die ihrerseits die politischen Verhältnisse destabilisierten. Und sie zwang Hunderttausende Bauern dazu, in die Städte zu flüchten, wo sie mit der Schrift und neuen Ideen in Kontakt kamen.
Vom Feudalismus zum Kapitalismus
Blom interessiert sich für diese Periode, weil, wie er im Interview mit ORF.at erklärt, „sie den Anfang der Aufklärung, den großen Zivilisationsumbruch von einem feudalen zu einem kapitalistischen Europa markiert“. Aus den Lehren der damaligen Entwicklung lassen sich laut Blom durchaus Schlüsse für die Gegenwart ziehen: „Wenn man daraus eine Schlussfolgerung ziehen kann, dann ist es die, dass auch die Mächtigsten nicht überleben können, wenn sie in Zeiten des Strukturwandels an ihren Strukturen festhalten.“
Während der Kleinen Eiszeit, so zeigt Blom auf, verschoben sich Europas Kräfteverhältnisse. Die ursprüngliche Weltmacht Spanien versank in Inflation und Chaos, die Niederlande hingegen, die schon früh den Handel für sich entdeckten, entwickelten sich von einem Land von Heringsfischern und Bauern zu einer der mächtigsten Seemächte der Welt – und zu einem Zentrum der kulturellen Innovation.
So klug wie vor 400 Jahren
Trotz der oft etwas lose aneinandergereihten Erzählungen ist es das Verdienst von Bloms Buchs, die Klimaveränderung als Katalysator des sozialen Wandels herauszuarbeiten. Simple Übertragungen auf heute seien, so Blom, aber nicht angebracht. „Tatsache ist, dass der Klimawandel in einer globalisierten Welt auch ganz andere globalisierte Auswirkungen hat.“ Vergleichbar sei lediglich, so lautet sein pessimistisches Resümee, dass wir, „trotzdem wir die erste Generation der Menschheit sind, die eine relativ gute Vorstellung von den Konsequenzen ihres Handelns hat, nicht viel dagegen tun. Leider zeigt sich da, dass wir genauso klug wie die Menschen im 17. Jahrhundert sind.“